14. Juni 2007 von Marese Sennhauser
Auferweckung der Toten, Wiederkunft Christi, sein Zeichen am Himmel und das Einrollen des Firmaments (Ende der Zeit).
Die erste Phase des Jüngsten Gerichts wird durch Vorgänge am Himmel eingeleitet: Sonne Mond und Sterne verschwinden, das heisst, die Möglichkeit der Orientierung in Raum und Zeit geht verloren. Dann erscheint, von Engeln eskortiert, Christus, der Menschensohn, dem sein Sieges- Zeichen voraus geht: das strahlende, funkelnde Kreuz des Auferstandenen. Vier Engel mit lauten Posaunen wecken die Toten auf um sie aus allen vier Weltgegenden zusammenzuführen. Das war im obersten Streifen des Gerichtsbildes dargestellt (also im 2.Register der gesamten Wand, denn die Szenen aus dem Davidszyklus darüber sind wenigstens gedanklich einzubeziehen. Darüber wird weiter unten noch etwas zu sagen sein.)

Die Wiederkunft Christi (Parusie). Mittelteil des Weltgerichtsbildes oben links. Das eigentliche Zentrum dieses Registers ist durch das spätgotische Fenster zerstört worden. Ich habe bei der Besprechung der Davidsbilder dargelegt, weshalb ich glaube, dass es in der Westwand ursprünglich nur zwei karolingische Fenster gab. Das karolingische Mittelfenster ist bloss eine nicht belegbare Annahme.
Die fast frontal gesehene, von einer irisierenden ovalen Glorie umleuchtete Gestalt Christi ist weitgehend zerstört. Man sieht aber noch das griechisches Schriftzeichen für phos (das Licht) im senkrechten Balken des Kreuznimbus, den weit ausschreitenden linken Fuss und den ausgestreckten linken Arm, sowie das windbewegte, gebauschte Mantelende, das die heftige Bewegung des Heranschreitenden evoziert. Die erwartete Abwärtsbewegung aber wird nur durch die drei begleitenden Engel angedeutet, die ihm vorauseilen. Bei der Gewandpartie des vordersten von ihnen ist ausnahmsweise auch die oberste Farbschicht erhalten, so dass für einmal die hervorragende malerische Qualität des Freskos erkennbar ist.
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9. Juni 2007 von Marese Sennhauser

Müstair, innere Westwand: Weltgericht (heutiger Zustand), Foto F. Hidber im GSK-Führer 1986, Grundlage: Matthäus 24, 29 – 31 und 25, 31 – 46 (sowie weitere Stellen aus dem neuen Testament: die sogenannte „synoptische Apokalypse“, die Stelle aus Matth.19,23-30 und einige Stellen aus den Apostelbriefen; wahrscheinlich auch Predigten aus dem 4./5.Jh, etwa Johannes Chrysostomus und Papst Leo der Grosse)
Man sieht: die Zerstörungen am monumentalen Bild durch den Einbau der Nonnenempore und durch Fenster- und Türausbrüche in gotischer Zeit sind sehr gross. Trotzdem kann man sich die ursprüngliche Wirkung des Freskos mit Hilfe der Umzeichnung gut vorstellen, und, wie ich meine, lassen sich wichtige Partien sogar einigermassen rekonstruieren. Das grosse rechteckige Bildfeld befindet sich unterhalb der schon besprochenen Bilder Nr.9-12 des Davidszyklus und ist als Ganzes in das selbe breite Rahmenornament gefasst, das unten auf den den ganzen Raum umziehenden Mäander und die Sockelzone aus Marmorimitation trifft. Interessant ist ein erst vor einigen Jahren entdecktes karolingisches „Fenster“ unten in der Mitte der Westwand (in der senkrechten Mittelachse des Weltgerichtsbildes).

Strichzeichnung der Westwand-Einteilung (Büro Sennhauser: F.Hidber, Zurzach): Drei Bildfelder aus dem Davidszyklus sind in die Betrachtung des Weltgerichtsbildes einzubeziehen, obwohl dieses separat gerahmt ist (siehe dazu: Matth.22, 41-46 und Parallelen und Apg.2,29-36)
Man sieht sogleich, dass in drei erzählenden Streifen (Nr.123-134) von oben nach unten ein zeitlicher Ablauf dargestellt ist. Da aber jeder Fries zu einer Zentralkomposition geformt ist, und da die senkrechte Mittelachse mit dem Christus-Richter in der Rundgloriole das ganze dominiert, ergibt sich der Eindruck eines einheitlichen monumentalen Gemäldes. Nr.135 steht für das abschliessende Ornament mit dem perspektivischen Mäander, das sich über der ebenfalls gemalten Sockelzone, die Marmorinkrustation imitiert, rund um den ganzen Saal zieht. Das „Fenster“ in der Mitte ragt in das Weltgerichtsbild hinein!
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7. Juni 2007 von Marese Sennhauser

Ausschnitt aus dem barocken Beretta-Faksimile nach Giottos „ Navicella“
Unten: Die gleiche Szene (wohl nach dem spätantiken Original am Atrium von Alt St.Peter in Rom?) als Bildfeld im karolingischen Christuszyklus von St.Johann in Müstair!

Müstair Nordwand, Bildfeld Nr.50: Petri Rettung aus den Fluten (oder: Jesus vertraut dem Petrus das Schifflein seiner Kirche an und verheisst für immer seine rettende Gegenwart). Matthäus 14, 22 -33.
Nachdem ich meinen Blog Ferien- und Krankheitshalber zwei Monate lang arg vernachlässigt habe, muss ich einen wichtigen Nachtrag liefern bevor ich zur versprochenen Beschreibung des Weltgerichts an der inneren Westwand übergehe.
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6. April 2007 von Marese Sennhauser

Müstair Südapsis: ein von einem Lichtschein umflossenes Medaillonkreuz, in der schriftlich überlieferten Weiheinschrift als Victoriosissima Crux bezeichnet, wird von den vier apokalyptischen Wesen verehrt. Es stellt den verherrlichten Christus dar und die mit ihm verbundenen Himmelsbewohner.
Heute ist Karfreitag. Für die einen ein hohes Fest: die Feier der Erlösung. Für die andern ein Tag der Trauer und der Busse: die Erinnerung an einen grausamen und erniedrigenden Tod. Ich habe schon immer einen starken Widerstand empfunden gegenüber der katholischen Karftreitagsliturgie, wo das Kreuz mit dem gemarterten Leichnam enthüllt und verehrt wird. An diesem Tag werden vielerorts auch blutrünstige Passionsspiele veranstaltet oder entsprechende Filme gezeigt.
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1. April 2007 von Marese Sennhauser

Zeichnung im karolingischen Utrechtpsalter zum Psalm 15 (Reims, ca.825)
Psalmtext:
Bewahre mich, Gott, ich flüchte zu Dir.
Ich spreche zum Herrn: mein Herr bist Du.
Nirgends ist Glück für mich, als nur mit Dir!
…..
Der Herr ist mein Erbe und Kelch: Du hältst meine Lose in Deiner Hand
…
Du lässt meine Seele nicht in der Unterwelt
und duldest nicht, dass Dein Frommer Verwesung schaue.
Du zeigst mir den Weg zum Leben,
und Fülle der Freuden bei Dir,
und Wonne zu Deiner Rechten für alle Zeit.
Die frühe Kirche hat diesen Psalm, der eigentlich die Hoffnung auf ein ewiges Leben für alle ausdrückt, zunächst auf die Auferweckung Christi gedeutet, auf seinen „Abstieg zur Hölle“, und auf seine Erhöhung „in den Himmel“, was erst das Erlösungswerk zur Vollendung brachte. Darum ist er – nebst der Wortillustration vom „Kelch der Lose“ und vom „sorglos ruhenden Leib“ – mit Bildern zum Nikodemus-Evangelium geschmückt: links tritt Christus den Tod mit Füssen und zieht Adam und Eva aus der Unterwelt herauf, dann sieht man die Frauen am Grab (in dem der Leichnam Christi zu sehen ist!) und den Engel auf dem Stein; rechts schlafen die drei jüdischen Gesetzeslehrer, die Zeugen der Himmelfahrt wurden und in Jerusalem davon Bericht erstatteten; darüber steht die Gruppe der Jünger, die nach Galiläa geeilt ist, und zuoberst wird der auferweckte und erhöhte Christus im Himmel von Engeln verehrt.
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2. März 2007 von Marese Sennhauser

Müstair, Nordwand Nr.68: Das leere Grab, die Frauen, der Engel auf dem Stein. Foto U.P.S. San Francisco
Da vom wichtigen Bild nur noch Spuren erhalten sind, mag hier das selbe Thema in einem Reichenauer Evangelistar des 11.Jh in Berlin als Sehhilfe dienen, wo allerdings der Engel ins Zentrum gerückt ist, die Frauen sich links befinden und die Grabwächter rechts und das Ganze sich innerhalb des Grabmonuments abspielt.
Das Feld Nr. 68 ist das frühchristliche Auferstehungsbild schlechthin (Matth.28,1-7;8-10), die Perikope zur Vigilfeier am Samstag abend und Markus 16, 1-7 die Perikope zum Ostersonntag). Das stets gleichbleibende Motiv ist der Engel auf dem Verschlusstein; bald ist er links, bald rechts, bald in der Mitte zu sehen. Vom Heiligen Grab gibt es verschiedene Ansichten. Die Frauen treten zu zweit oder zu dritt, auf der linken oder der rechten Seite auf. Nur in Müstair stehen sie im Zentrum.
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23. Februar 2007 von Marese Sennhauser

Müstair Nordwand, Nr. 67: Jesu Abstieg zu den Toten. Foto U.P.S., San Francisco
Der Mythos von Christi Abstieg ins Totenreich, vom Kampf mit den Mächten der Finsternis und von der Befreiung der Toten (1. Petrus 3, 18 -22 und 4, 6) und die dramatische Descensus-Schilderung innerhalb des apokryphen Nikodemus-Evangeliums (2, 18-24) findet sich nicht in den kanonischen Evangelien.
Gleichwohl ist er schon sehr früh im zentralen Teil der Messfeier enthalten (Anaphora des Bischofs Hippolyth von Rom) und wurde wohl auch als kultisches Spiel in die Taufvorbereitung der Osternacht integriert. Der heilige Augustinus hat darüber gepredigt, und zahlreich sind die dichterischen Texte zur „Höllenfahrt Jesu“ im frühen und hohen Mittelalter. Das Bild Nr. 67 ist also nicht aus einem spätantiken Perikopenbuch übernommen, sondern aus einer Wandmalerei oder einem Relief.
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20. Februar 2007 von Marese Sennhauser


Müstair Nordwand Nr65/66 Kreuzigung (schlecht erhalten), darunter meine Nachzeichnung
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Das sich über den jetzt vermauerten Eingangsbogen der Nordwand erstreckende, vielfigurige Bild ist zwar arg zerstört und für den Laien kaum mehr lesbar, aber mit Hilfe meiner Rekonstruktionszeichnung, die das Erhaltene in kräftigem Strich wiedergibt und das Ergänzte in feiner Zeichnung, sollte die folgende Beschreibung die Szene vor dem innern Auge erstehen lassen:
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17. Februar 2007 von Marese Sennhauser

Müstair Nordwand, Bildfeld Nr.64 (Foto U.P.S) und Egbertcodex, Perikopenbuch aus Kloster Reichenau, 10.Jh.

Nachdem der Hohe Rat Jesus zu Pilatus, dem römischen Statthalter ins Prätorium gebracht hatten, begannen lange Verhandlungen und Befragungen. Schliesslich musste Pilatus ihn zur Kreuzigung freigeben, obwohl er ihn für unschuldig hielt. Die Szene Nr. 64 spielt sich vor dem schräg ins Bild ragenden Prätorium ab, wo Pilatus auf dem Richtstuhl sitzt und sich demonstrativ die Hände wäscht: ein Diener in langem Gewand hält ihm ein Wasserbecken hin und schüttet ihm aus einem nicht mehr sichtbaren Krug Wasser über die Hände.
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16. Februar 2007 von Marese Sennhauser

Müstair Nordwand, Nr.63: Jesus wird vom Hohen Rat der Juden verhört. (Bild zur Hälfte von der neuen Orgel verdeckt)Text: Lukas 22, 66-71
Am Morgen nach der Gefangennahme wird Jesus ins Haus des Kaiphas gebracht, nachdem er zuerst bei Hannas, dem letzten Hohepriester und Schwiegervater des jetzt amtierenden verwahrt worden war. Hier macht er die entscheidende Aussage, die sein Schicksal besiegelt. Er bekennt, dass er der Messias und mit aller Vollmacht ausgestattete Sohn Gottes ist!
Vom gut erhaltenen Bildfeld, das heute zur Hälfte von der Orgel verdeckt ist, habe ich leider kein altes Foto, was umso bedauerlicher ist, als es sich um eine wichtige Szene im Zyklus handelt. Jesus steht gross und hoheitsvoll im Zentrum der Komposition. In der Linken hält er eine Schriftrolle, die Rechte ist im Sprechgestus erhoben. Rechts vorne sitzen die beiden Hohepriester auf einem doppelt breiten, kissenbelegten Truhenthron. Kaiphas, dunkel gewandet und mit dunklem Haar und Bart gestikuliert mit beiden Händen.
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